Sind unsere Parteien schon reif für Untersuchungsausschüsse?
Aktualisiert: 13. Aug.
Was in den 60er-Jahren die SPÖ vom ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus wie die ÖVP in den 70er-Jahren ebenso vergeblich von der SPÖ des Bundeskanzler Bruno Kreisky forderte, wurde im November 2014 unter SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern endlich gut: Das Minderheitenrecht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Genau ein Viertel (46) Abgeordnete des Nationalrates reichen seither aus, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu erzwingen.
Seine rechtliche Ausstattung zielt vor allem auf eine Sichtbarmachtung von Abläufen in der jeweiligen Bundesregierung und ihren Ministerien ab. War bislang eine dringende Anfrage das Schlimmste, was den Regierungsmitgliedern passieren konnte, sind den Untersuchungsausschüssen ganz andere Mittel an die Hand gegeben: Dabei ist für die Befragten nichts und die Befragenden viel zu gewinnen. Während der Schlussbericht den Untersuchten eher nicht den Schlaf rauben dürfte, haben sich im medialen Umfeld der Gegenwart die "Nebenwirkungen" zu überaus unangenehmen Loose-Loose- Situationen entwickelt: Das genüssliche Bloßstellen von Inkompetenz, Unsicherheit, Ratlosigkeit, (kritikwürdiger) Loyalität, Arroganz und Geringschätzung - somit alle möglichen Fehlleistungen der Befragten sind zu Spitzenmeldungen geworden, die es schon mal in die Hauptnachrichten schaffen. Allein schon die Dauer von bis zu 14 Monaten erlaubt dem Ausschuss, ein Thema mehr als ein Jahr lang auf kleiner Flamme zu rösten.
Gemessen an den erstarrten Ritualen in den Parlamentsdebatten, die doch immer wieder mit Abstimmungsniederlagen der Opposition gegen die Regierung enden, stellen die Untersuchungsausschüsse damit eine wesentlich spektakulärere Arena dar. Sie können nämlich deutlich mehr. Ministeranklagen, Zeugenvorladungen, Wahrheitszwang, das Recht auf Beweismittelanforderung aus allen Behörden, um jede Aussage zu jahrelang zurückliegenden Ereignissen wörtlich mit schriftlichem Material abzugleichen sind einige der sehr viel schmerzlicheren Hiebe, die so ein U-Ausschuss austeilen kann.
Nach der jüngsten politischen Bombe, der Bekanntgabe, dass durch die Wiener Korruptionsstaats-anwaltschaft gegen den Noch-Bundeskanzler Kurz als Beschuldigten Ermittlungen aufgenommen wurden, ist wohl dem Letzten im Land bewusst geworden, welche Dimension die politischen Scharmützel in den Befragungen erreichen können. Auch hier ist die Befragung in einem Untersuchungsausschuss nur ein erster, indirekter Schritt. Ein wichtiger zweiter besteht in der
Macht, auch die gesamte persönliche Kommunikation über E-Mail und Smartphone vorgelegt zu bekommen, um das Gesagte zu überprüfen. Um die Tragweite dieses Schrittes einzuschätzen, sollte man sich nur für eine Sekunde vorstellen, jemand würde mit den Smartphone-Daten der Journalisten Armin Wolf, Florian Klenk, Manfred Rauscher oder der Politikerinnen Frau Meinl-Reisinger, Frau Rendi-Wagner oder Herrn Herbert Kickl verlangen! Anhand der nun erzwungenen Bereitstellung der Kommunikationsprotokolle kann ja - wie es ja bereits monatelang geschieht - jeder dort allzu vertraulich gefallenen Sager oder Kurzkommentar auf demütigendste Art breitgetreten und deren Verfasser mit sichtlichem Genuss lächerlich gemacht werden - natürlich nicht ohne Beteuerung der ungeheuren Erschütterung über den unfassbaren Charakter der Akteure. Darüber hinaus kann aber die vorgeworfene Abweichung konkret nachgewiesen und der Lügner bei jeder Gelegeneit als solcher bezeichnet werden. Ob dabei nur ein Vorkommnis unvollständig dargestellt, eine Situation zu wenig wichtig geschildert wurde oder tatsächlich unverfroren gelogen wurde - für solche Unterscheidungen bleibt kein Raum. Wie bedeutsam dann des weiteren die verschwiegenen Worte tatsächlich sind, oder ob gar irgendjemandem auf der Welt dadurch Schaden entstanden ist, kann getrost vergessen werden. Es geht uns halt ums Prinzip! Sollte jedenfalls einer der Fragesteller zur Ansicht gekommen sein, hier handelt es sich um eine absichtliche Falschinformation, so steht es diesem frei, Anzeige gegen den Befragten einzubringen, welcher von der Staatsanwaltschaft nachgegegangen werden muss. Wenn es sich um einen Spitzenpolitiker oder gar den Bundeskanzler handelt, dann ist das entstehende Aufsehen groß genug, um diesen nachhaltig zu beschädigen. Mit jeder augenzwinkernden süffisanten Anmerkung, es gelte die Unschuldsvermutung wird tatsächlich eine Schuldwahrscheinlichkeit suggeriert. Da mit einigen Monaten bis zur tatsächlichen Entscheidung über eine Anklageerhebung zu rechnen ist, darf auch die Schuldwahrscheinlichkeit die ganze Zeit über im Raum stehen bleiben. Heute am 23. 5. lese ich allerdings von Herrn BP A.D. Heinz Fischer den bemerkenswerten Ratschlag, solches zu unterlassen, so lange weder die Anklageerhebung selbst noch der Inhalt einer eventuellen Anklage vorliegen.
Medial besonders schwerwiegend und vergleichbar einer unentrinnbaren Doppelmühle im bekannten Mühle-Spiel ist der feine und doch große Unterschied zwischen Gerichtsverfahren und Untersuchungsausschuss. Dies wurde am 14. 5. 2021 vom bevorzugten ORF - Verfassungsexperten, Herrn Dr. Heinz Mayer, am Runden Tisch des ORF am Tag der Bekanntgabe der Ermittlungen gegen den Kanzler sehr übersichtlich dargestellt:
indlich zu zeigen. Ich habe das schon einmal in diesem
Blog als "Heumarkt-Politik" bezeichnet.
Zum Zweiten: In jedem Fall wird vom Befragten erwartet, dass er sich dem Fragesteller mit dem angebrachten Respekt benimmt. Die Fragesteller des Ausschusses üben schließlich ein gar nicht hoch genug einzuschätzendes demokratisches Recht aus und alles, was als eine Geringschätung des Fragestellers oder der Institution des Ausschusses selbst verstanden werden könnte, ist daher zu unterlassen.
Nur die Fragesteller dürfen also den höeren Zweck der Verteidigung der Demokratie für sich in Anspruch nehmen. Sollte also die vorgebrachte Frage als "Häkelei", Provokation, Suggestivfrage o. ä. empfunden werden, darf sich der Befragte trotzdem nur sachlich und ehrerbietend dazu äußern . Sollte ihm das nicht gelingen, kann dies als Geringschätzung der Demokratie auf das schärfste verurteilt werden.
Wer sich also über den Ton bei den Befragungen beschwert, hat diese Spielregeln und insbesondere den Unterschied zwischen Ausschuss und Gericht nicht verstanden. Keinesfalls darf er eine respektvolle Behandlung wie etwa ein Beschuldigter durch einen Richter erwarten oder gar verlangen. Der befragte Politiker muss den rauhen Ton, der dort mitunter angeschlagen wird, einfach aushalten. Sonst hat er den Beruf des Politikers noch nicht verstanden. Sollte sich dieser Politiker seinerseits im Verlauf einer solchen Befragung zu nicht respektvollem Verhalten hinreißen lassen, so ist dies als völlig inakzeptable Verachtung der Demokratie zu kritisieren.
Aus den obigen Gründen halte ich das Instrument des Untersuchungsausschusses in der gegewärtigen Form für schwer missbrauchsanfällig und reformbedürftig. Eine nun schon bald ein Jahr andauernde gehässige Schlammschlacht war möglicherweise nicht das, was von deren Proponenten gedacht war. In diesem Blog habe ich schon mehrmals vor den Parteien als wenig vertrauenswürdige Wächter der Demokratie gewarnt. (siehe "Bürger an die Macht"). Die aus freiem Spiel der Kräfte entstandene Koalition aus SPÖ, FPÖ und NEOS demonstriert auf abstoßende Art und Weise, dass man den eingeschlagenen Weg der verbrannten Erde bis zum bitteren Ende gehen will. Schwer wiegt, dass man dem derzeitigen Personal der ÖVP jeden Funken Ehre abspricht. Sinniger Weise wird ihr dazu eine Geringschätzung der Demokratie vorgeworfen. Damit wird wenigstens denen, die wie der SPÖ-Abgeordnete Leichtfried und SPÖ Generalsekretär Deutsch solches wiederholt unkorrigiert "klarstellen" dürfen, Zusammenarbeit mit dieser ehrlosen Partie in der Zukunft nur als gleichfalls ehrloser Kompromiss erscheinen müssen. Die bereits ruinierten Flächen verbrannter Erde werden aber auch den Handlungsspielraum der Brandleger schmerzlich verringern, falls man auch nur eine Sekunde lang an irgendwann "unvermeidliche" Wahlen denkt.
Aufkleber der Sozialistischen Jugend (sj-wien) auf einer Ampel-Schaltanlage in Wien 23, Breitenfurterstraße
Dann spätestens wird auch jemand anderer wieder ein Thema werden, der bereits eine Koalition der FPÖ, SPÖ, NEOS und Grünen empfiehlt. Aus Sicht von Herbert Kickl - den meine ich jetzt - zwingend logisch, haben sich doch NEOS und SPÖ nun schon ein Jahr lang von ihm koordinieren lassen. Seine durchaus erfolgreiche Kampagne, bei allen Bemühungen um ein gemeinsames Vorgehen in der unsäglichen Corona-Dauerkrise Sand ins Getriebe zu streuen, wurde demokratisch vorbildlich reichlich Spielraum gegeben. Die geballte Fundamentalopposition mit dem pausenlosen Sperrfeuer hat immerhin prächtig funktioniert, die zuvor unantastbare Kommunikationsmaschine Kurz zum Stottern gebracht und zu etlichen Fehlern getrieben. Er darf jedenfalls die Rolle des Königsmörders in der Opposition geben, völlig unbehelligt "Kurz muss weg" rufen und ungeachtet der Situation auf dem ganzen Globus weiterhin verkünden, dass da keine Pandemie ist, folglich alle (!) Einschränkungen der Regierung undemokratisch nennen. Das Problem ist ja - merkt euch das doch endlich - nicht Corona! Das wahre Problem ist viel einfacher: Kurz muss weg! Für die Dreckarbeit, endlich diesen bei Wahlen schwer zu besiegenden Kurz zu beseitigen, überlässt man ihm gerne die Narrenfreiheit und nickt artig bei seinen selbstgereimten Kalauern über die ÖVP . Unerträglich faktenbefreite Aussagen rund um Corona, wie die völlige Wirkungslosigkeit der Masken ebenso wie seine netten Freunde bei den Identitären, der AfD und der natürlich astrein demokratischen Partei "einiges Russland" bleiben ebenso unkritisiert wie unwidersprochen - in dem ihm solcherart dargebotenen Spielraum darf er sich unwidersprochen als Verteidiger der Demokratie generieren.
So what?
Um einen anderen Blick auf notwendige neue Schritte zur Stärkung unserer Demokratie zu gewinnen, empfiehlt sich einmal den Blickwinkel von Politikern einzunehmen, mit denen unsere liberalen Demokratie in natürlichen Wettbewerb stehen: theokratische Systeme wie das des Iran, sich demokratisch bezeichnende Systeme wie in der Türkei oder Russland. Entwicklungen wie diejenige jetzt in Österreich mal aus deren Sicht zu betrachten könnte vielleicht helfen, das gemeinsame im Land wieder deutlicher zu sehen und zu schätzen. Vor allem aber: der so kostbaren Demokratie ihre dringende Reform an Haupt und Gliedern nicht länger vorzuenthalten. Detailreparaturen an den Regelungen zu Untersuchungsausschüssen werden dazu nicht ausreichen.
Doch wer kann die Politiker, die Meinungsmacher und die Bürger zu einem so dringend nötigen Blick von außen zwingen? Rückblickend könnte man zur sarkastischen Antwort kommen: alternativlose schiere Notwendigkeit, Leidensdruck! Geht es erst dann, wenn man sieht, dass es nicht mehr anders geht?
, so wie nach dem 2. Weltkrieg war der Leidensdruck groß genug geworden. Die noch nicht ganz überstandene Krise einer weltweiten Pandemie hat uns näher an den Zusammenbruch unserer Wohlfahrtsstaaten gebracht. War das genug Leidensdruck? Zweifel sind berechtigt. Vielleicht finden sich aber auch sogenante Staatsmänner, gerne auch Staatsfrauen, die schon jetzt die Zeichen der Zeit lesen können. Vielleicht ist es aber auch die Zeit für die mündigen Bürger gekommen, die eine Gesellschaft der Meinungsverschiedenheiten als akzeptable Preis für die Freiheit der eigenen Meinung betrachten.
Besonders zu empfehlen: Peter Bieri, Eine andere Art zu leben, Über die Vielfalt menschlicher Würde.
Dort vor allem für Politiker die Seiten 235 bis 237