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AutorenbildFlorian Kliman

vom Hinschauen und vom Wegschauen




Betroffene Gesichter gab es genug nach dem letzten Spieltag der Österreichischen Fußball-Bundesliga. Im traditionsreichen Wiener Derby trafen Austria und Rapid zum 343. Mal aufeinander.


Und wie sie aufeinandertrafen! Sie trafen mit allen Gegenständen, die sie an der nicht rasend effektiven Stadion-Security vorbei ins Stadion mitgenommen hatten. Böller, Nebenwerfer, bengalische Feuer - alles was man halt zum Genießen eines Fussballspiels so braucht. Erst als sich die Schüsse in die Luft in Schläge und Würfe auf die gegnerischen Ultras und auf dann sogar auf den Spielfeldrasen verlagerte, war es dann auch den Polizisten und anderen Ordnungskräften zu viel. Dieses Geschehen nun, eine solide halbstarke Rauferei wird nun auch untersucht. Rädelsführer wurden anscheinend schon festgestellt und müssen mit empfindlichen Geldstrafen rechnen. Auch die Liga-Kommission wird sich schon in den nächsten Wochen (!) mit den Vorfällen befassen. Rapid-Funktionäre äußern schon die Befürchtung, dass dies mit einer Strafverifizierung des (auf dem Rasen gewonnenen) Spiels samt Punkteabzug enden könnte. Ein sichtlich ratloser (weil in dieser Causa kompetenzloser) Trainer Robert Klauß spricht für ihn persönlich von einem absoluten NOGO und dass niemand solche Szenen sehen möchte. Der ORF, seit einer gefühlten Ewigkeit wieder bei einem Spitzenspiel der Bundesliga live dabei, lieferte die Bilder frei Haus in die Wohnzimmer, doch auch hier wird nur das auf dem Spielfeld sichtbare wieder und wieder gezeigt und besprochen. Soweit reichte die Bereitschaft zum Hinschauen.


Für mich schwer erträglich empfinde ich allerdings das Wegschauen von Zuständen, die schon vor den Tumulten auf dem Spielplatz auch live auf den TV-Schirmen zu sehen waren. Da waren genug andere Bilder zu sehen. Es beginnt schon mit dem leidlich akzeptierten Rauchschwaden über dem Platz, die selbstverständlch eine Verschiebung des Spielbeginns notwendig machen. Auch der Fernsehzuseher darf nun eine weitere Runde einleitender Kommentare über das zu erwartende Spiel genießen, während man ohne jede kritische Anmerkung über den Anlass auf das Verschwinden der nun mal vorhandenen Rauchschwaden wartet. Schließlich ist man solches auch von den größten Fussballstadien der Welt schon gewohnt. So what? Auch anderswo zieht unter 250 bekannten Sportarten besonders der Fußball diese gewaltbereiten Fans an.


Schon in den 90 + 15 Minuten vor der fröhlichen Keilerei waren brennende Fackeln und sichtliche Unruhe auf den Rängen mit den Ultras der beiden Mannschaften immer wieder eingeblendet. Doch solches ist wohl nur für so selten wie ich Zusehende erstaunlich. Wissende werden auch diese meine Anmerkung milde belächeln. Kann man aber auch über die Transparente milde lächeln, die da Hass und Tod dem gegnerischen Verein androhen (siehe Titelbild oben). Bevor noch Fäuste flogen, wäre das nicht bereits genug Anlass, einzuschreiten?


Vor zwei Wochen erst wurde über die eigenartigen Siegesgesänge die Köpfe geschüttelt, mit denen Funktionäre und Spieler noch im Siegesjubel ihre Verachtung gegenüber den Schwulen lauthals losgrölen musste. Verschämt wurden die widerlichen Szenen als "homophobe Gesänge" durch die Medien weitergereicht. Schon vergessen? Werden die ihre gewohnten Gesänge trällernden vielleicht hinzugelernt haben, dass das was sie da immer schon sangen, jetzt "homophob" genannt wird?


Noch deutlich weiter zurück in die Vergangenheit fällt meine Erinnerung an eine Arbeitskollegin, die bereits 2009 (!) ihre Abonnementkarte bei der Wiener Austria kündigte, weil sie nach 10 Jahren treuer Anhängerschaft einfach nicht mehr auf den Fußballplatz gehen wollte. "Wir können mit unserer Tochter dort nicht mehr hingehen. Diese Aggression und Primitivität machen mir zu viel Angst."


An solche Szenarien denkend, ist das sicherlich ehrliche Bedauern über die Tumulte als allerletzte Phase einer ausbrechenden Aggression schwer zu ertragen. Betroffenheit allerorts ja, aber betroffen sollte man nicht bloß über die zu sehenden Szenen auf dem Platz sein, sondern über das Dahinschwelen oder gar Anschwellen (?) einer gewaltbereiten Bevölkerungsschicht, das man schon über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bemerken konnte. Wo sind die Studien, die die Zusammensetzung der Ultra-Fans analysieren und eine Aufarbeitung von solcher Aggression ernsthaft vorantreiben und der Politik zur Verfügung stellen. Tiefere Beschäftigung ist dringend erforderlich. Sind das ohnehin nur Jugendliche, sind das nur Ausländer, Arbeitslose, Rechtsradikale? Werden sie gar nur von anderen ausgenutzt, die ganz andere Süppchen kochen? Aber auch: können die Fussballvereine ohne die Jahreskarten dieser "Fans" über die Runden kommen? Ist es vielleicht doch gar nicht so unerwünscht, dass sie für etwas Pfeffer im sonst langweiligen Betrieb sorgen? Unangenehme Erkenntnisse sind zu erwarten.


Am Flughafen Wien war am Tag nach den Ereignissen unter den Headlines, die einem dort kostenlos am laufenden Band vorgespielt werden, auch zu lesen: Opas schmuggelten Böller in Kinderwagen ins Stadion! Also sind es vielleicht nicht nur die Enkel, sondern vielmehr die Opas?


Am kommenden Sonntag, den 29. September werden auch die Platzstürmer vom letzten Sonntag ihre Stimmzettel in die Urnen werfen. Werden sie auch den von ihnen abgelehnten Parteien Tod und Hass an den Hals wünschen? Es bleibt ein ungeheures Verdienst der Demokratie, Meinungsunterschiede zuzulassen und lösungsorientiertes Zusammenleben verschiedener Meinungen zu erzwingen. Sie hat Formen geschaffen, sich ohne Colt in der Hand Gerechtigkeit herzustellen, seine Meinung artikulieren und sich mit Gleichgesinnten zusammentun zu können. Der Weg, etwas für seine Meinung zu tun, ist geschaffen. Auch über den Wahltag hinaus. Diese Wege zur gewaltfreien Mitgestaltung der Gesellschaft existieren - wir werden sie viel mehr bekannt machen müssen.

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