Wann kommt das Volksbegehren zur Wertschätzung von Volksbegehren?
Die von mir letzte Woche gezeichneten Bilder der in den ausgefahrenen Gleisen verbleibenden parlamentarischen Auseinandersetzung haben sich in dieser Woche leider nicht als überholt herausgestellt. Auf eine solche Falsifizierung, die ich sehr gerne hingenommen hätte, muss ich also noch warten.
Rundheraus: Haben wir vielleicht die Art Politik (und das zugehörige politische Personal), die wir ohnehin so erwarten, inclusive dem angenehmen Gefühl, jemanden zu haben, der schon mal grundsätzlich schuld ist? Ist das nicht einfach der Preis der "repräsentativen" Demokratie? Konkrete politische Entscheidungen passieren nicht auf laufender Einbeziehung der Bevölkerungsmeinung, sondern die alle 5 Jahre gewählten Mandatare können dann ein Programm abarbeiten, das sie zur Zeit der Wahl vorgestellt haben. Wir Wähler haben dann sozusagen 5 Jahre lang Ferien und sind - im Regelfall - erst in fünf Jahren wieder dran. Leider verkümmert in dieser langen Zeit unsere demokratische Muskulatur zusehends und unsere demokratische Fitness reicht gerade noch dazu, den Tribunen der gewählten Parteien die Sympathie zu entziehen oder eben zu wahren. Besser immerhin funktioniert der Reflex der Empörung, wenn meine Partei unflätig angegriffen wird. Um im Bild zu bleiben, kann es da schon mal zu kurzfristigen Überdehnungen, Muskelkater, Verrenkungen und ähnlichem kommen, wenn man sich untrainiert auf unterschätzt schwieriges Terrain begibt.
Unser repräsentatives System mit seiner begrenzten Einbindung der Wählermeinung ist allerdings in der Demokratie durchaus verbreitet und das auch aus dem erwähnten Grund. Das namhafteste und praktischerweise gleich "nebenan" zu bewundernde andere System ist dasjenige der Schweiz. Komplizierterweise gibt es aber auch im Nachbarland Parteien und es sitzen auch die Repräsentanten dieser Parteien im Eidgenössischen Parlament. Die Einstreuungen direkter Demokratie sind auch wieder nicht so zahlreich. Dafür aber haben sie als letzte Instanz höchste Rechtswirksamkeit und müssen(!) umgesetzt werden. Die eidgenössische Volksabstimmung kennt die drei Ebenen Gemeinde, Kanton oder Bund. Auf Bundesebene müssen in 18 Monaten 100.000 Unterschriften erreicht werden, dann erfolgt eine automatische Überleitung in eine Volksinitiative. Bei deren Auszählung zählen einfach die gültigen Stimmen und ihr Ergebnis stellt auch gleich den rechtsverbindlichen Entscheid dar, den jede Regierung umzusetzen hat. Die Volksbegehren erhalten ihr Gewicht somit aus der Tatsache, dass sie von der Regierung umzusetzen sind. Wer aber das Schweizer Demokratie-Modell einfach findet, sollte sich vielleicht in Wikipedia die grundlegendsten Spielregeln gönnen, deren Darstellung völlig den Rahmen eines Blog wie meinen Blog hier sprengen. Einen interessanten Vergleich Österreich-Schweiz nimmt anhand ausgesuchter Stellen der Verfassung Hubert Thurnhofer in seinem Buch "Baustelle Parlament" vor. Die Realität der schweizerischen Volksentscheide schließt jedenfalls die Befassung der/des einzelnen stimmberechtigten Bürgerin/s mit Sachverhalten, pro-und-contra-Argumenten mit ein, die hier dem Souverän (bleibt ungegendert) zugemutet werden. Es fehlt auch keineswegs an Kommentaren, in denen über das mühsame Studieren der zugesandten Unterlagen geklagt wird, die man vor solchen Volksentscheiden studieren sollte. In dieser Zumutung einer anstrengenden Beschäftigung mit Sachfragen steckt das von Geburt der Demokratie an bestehende Problem der Qualifikation zu einer demokratischen Meinungsäußerung. Auch wenn unbestritten ist, dass die Auswirkung von Entscheidungen alle treffen (können): Ist Frau und Herr Bürger so interessiert und qualifiziert, dass man seine Meinung zu einem Thema einholen sollte? Es ist nicht Zynismus, wenn man die derzeitigen Spielregeln in Österreichs Politik (und Verfassung) als bereits gegebene Antwort auf diese Frage versteht. Es liegt am Souverän, hier auf eine Klarstellung zu drängen!
Zumutung ist ohnehin ein recht passendes Wort für das, was wir Österreicherinnen und Österreicher uns schon etwas länger ersparen. Aus braven Untertanen der Habsburger sind wir nach Schweizer Begriffen sehr spät in ein dosiertes Maß an Mitbestimmung untergeschlüpft. Konkrete Auswirkungen des Mitbestimmungsgedankens finden sich beim westlichen Nachbarn schon vor 700 Jahren! Auch wenn weder Ort, Personen und Jahr geschichtlich gefestigt sind, so transportiert der fiktive, aber prächtig erdachte Eid auf der Rütliwiese am Ufer des Vierwaldstättersees (siehe dazu Bild unten) noch heute die Geschichte dieser herrlichen wehrhaften Dickschädel, die dem heiligen Schwur auch handfeste Selbstbehauptung folgen ließen. Das macht doch glatt 700 Jahre Vorsprung! Die dagegen etwas feige daherkommende Anpassungsfähigkeit und und das Durchlavieren wird ja unter den Österreich-Klischees gerne an weit vorderer Stelle gereiht. Der große Zuspruch, den die Reformation bei den Österreichern fand, bevor ihnen das Österreichische Kaiserhaus als weltlicher Arm einer rigorosen Gegenreformation wieder die "Wadeln nach vorne" richtete, passt damit nicht so recht zusammen. Die gewaltsame Zurückschlagung des protestantischen Glaubens in diesem Land ist eine vielleicht nicht immer ausreichend gewürdigte Grundsäule des politisch-gesellschaftlichen Verständnisses. Der oft unterstellten Unfähigkeit der Österreicher zu einer richtigen Revolution stehen auch die Ereignisse der unterschätzten Ereignisse von 1848 entgegen. Trotzdem: auch diese Revolution wurde wie in anderen Monarchien Europas abgewehrt.
Welche Umstände können heute noch die politische österreichische Seele bewegen? Wie könnte heute eine, auf der Geschichte Österreichs fußende Emanzipation der Staatsbürger gestärkt werden? Wer sieht überhaupt eine Notwendigkeit dazu? Ist denn eine solche politische Mobilisierung möglich ohne neue ideologische Radikalisierung? Nationale Rezepte, die nicht einmal in Anbetracht einer globalen Pandemie eingebettet werden in ein globales Verstehen und globales Handeln machen hier wenig Mut. Wie aber soll nach "oben" durchdringen, dass man nicht nur auf der Seite der ängstlichen Bewahrer des gewohnten Österreichbilds Stimmen zu holen wären! In Anbetracht dieser und ähnlicher Realitäten ist nicht allzuviel erreicht, wenn etwa statt ab 100.000 schon ab 50.000 Unterschriften ein Volksbegehren im Parlament (NUR!) besprochen werden mus?
Vielleicht sollte man neben den Schaukämpfen in den Untersuchungsausschüssen, die zuvor durch achtenswerte Initiativen von der Opposition erst mal erkämpft werden mussten, nun auch reguläre Möglichkeiten der Einbindung der interessierten Bürger schaffen. Die Behandlung eines Volksbegehrens im Parlament reicht jedenfalls nicht aus, Mitbeteiligung und Mitdenken zwischen zwei Wahlterminen zu fördern. Zum möglichen Umgang mit Bürgerinitativen in neuer Form habe ich im August 2019 unter dem Titel "Bürger an die Macht ..." einen noch immer aktuellen Blog geschrieben. Ob es "Das Volksbegehren für ein Grundeinkommen ohne Arbeit" ist oder das "Klimavolksbegehren" oder die "Ausrufung einer Europäischen Republik" sie alle würden vor allem ein Volksbegehren zur ernsthaften Aufwertung von Volksbegehren durch die Regierung(!) benötigen. Derzeit werden die Parteien leicht mit den politischen Emporkömmlingen fertig, die ja tatsächlich Konkurrenz zum (alleinigen!) Vertretungsanspruch der Parteien darstellen. Die parlamentarische Behandlung sieht dementsprechend aus. Sowohl die technischen Möglichkeiten (WEB!) für Information und Abstimmung als auch die zunehmende Wehrlosigkeit der Demokratie gegen autoritäre Bestrebungen aller Art rufen nach einer adäquanten Form zu einer Demokratiereform, die diesen Namen verdient.
Allen die Mitbestimmung fördernden Web-Angeboten und WEB-Tools für Initiativen und Kampagnen möchte ich auf meinem BLOG gerne eine Sammelseite zur Verfügung stellen. Bitte schreiben Sie mir Ihre Vorschläge.
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