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AutorenbildFlorian Kliman

Bürger an die Macht - naja, ein bisschen und noch nicht sofort...

Aktualisiert: 29. Aug. 2019


Wenn am Abend des 29. September 2019 Österreichs annähernd 6,4 Millionen Wahlberechtigte Ihr Wahlrecht ausgeübt haben werden, dann wird das voraussichtlich ein mehr oder weniger erleichternder Schlusspunkt einer Veranstaltung namens "Wahlkampf" gewesen sein.


Die Kritik an diesem mitunter aufwühlenden Ritual würde sicherlich noch viel heftiger ausfallen, wenn man nicht genau wüsste, dass wir mit unserem Demokratien westeuropäischen Zuschnitts noch vergleichsweise sehr froh sein können. In weiten Teilen der Welt haben sich äußerst autoritäre Systeme durchaus robust behauptet. Besonders iriitierend sind auch Systeme, die zwar ihrer Bevölkerung Wahlen ermöglichen, die aber trotzdem fest in der Hand autoritärer Clans bleiben, die sich nur noch Parteien nennen.


Ist aber aber weise, wegen der weitverbreiteten Existenz solcher viel weniger demokratischer Systeme gar nicht erst durch zu laute Kritik und Verbesserungsvorschläge ins Gerede zu bringen? Immerhin gibt es ohne Frage genügend erklärte Gegner der liberalen europäischen Demokratie, die jedes kritische Argument gerne aufgreifen werden. Durchaus im Bewusstsein, sich in manchen Augen als Nestbeschmutzer zu disqualifizieren, will ich am Vorabend der bevorstehenden intensiven Wahlauseinandersetzungen diesen Blick nach vorne trotzdem wagen. Ein geschärfter Blick auf dieses Thema wird übrigens helfen, die Vorstellungen der Parteien über die Zukunft der Demokratie gegeneinander abzuwägen und zu vergleichen. Zunehmend interessant scheint mir dabei, welche Politiker vorhaben, dem Bürger jenseits der Möglichkeit der Mitarbeit in einer Partei künftig eine mitgestaltende Rolle zuzubilligen.


Der schon in der Bundesverfassung garantierte Demokratie verdanken wir fraglos einen beneidenswerten Wohlstand, in der Geschichte noch nie dagewesene Bürgerrechten und zahllose weiteren Annehmlichkeiten. Dieses über Jahrzehnte bewährte Vehikel gibt zwar einige verdächtige Geräusche von sich, aber bislang haben wir noch keine Zeit für einen empfehlenswerten Service gefunden. Es wird aber auf Dauer nicht genügen, das inzwischen zum Soundsystem herangewachsene Autoradio lauter zu drehen, um diese störenden, früher nie vorgekommenen Geräusche zu übertönen.


Nun beobachtet und liest man zwar landauf und landab, dass die Zeit der großen Volksparteien endgültig vorbei sein dürfte. Ist deren unfreiwilliges Downsizing und das Entstehen neuer Parteien bereits genug Erneuerung der Demokratie? Gerade an der Dynamik der grünen Bewegung, die durch deren Umwandlung in Parteien deutlich an Schwung verloren hat, wird auch die Gefahr einer starken Verknöcherung sichtbar. Sei es durch die Fesseln von Parteidisziplin und Abstimmungsregeln, wie auch der unweigerlich privilegierten Position von gewählten Abgeordneten ähneln sich ehemals junge Protestparteien rasch den von ihnen ehedem als Altparteien kritisierten politischen Mitbwerbern an.

Auch die praktischen Abläufe in unseren Parlamenten, Regelung der Debattenzeiten und Reihungen setzt der wünschenswerten Anzahl politischer Parteien in den Parlamenten natürliche Grenzen.


Bis zum Nennungschluss haben nun acht Parteien die Voraussetzungen für ein bundesweites Antreten erfüllt ( ÖVP, SPÖ, FPÖ, NEOS, JETZT, KPÖ, Grüne und "Wandel"). Durch die bestens eingeübten Prozeduren wird voraussichtlich eine ordungsgemäßige Sitzverteilung des Parlaments. Die dann von den Parteien entsandten Regierungsmitglieder stehen einigem aufgebauten Frust und einigermaßen gigantischen Ansprüchen der Opposition und Medien gegenüber. Alles wie gehabt?


Nur vordergründig: ja. Auch wenn da in Europa bei den Wahlen noch die bekannten Blöcke die Wahlen dominierten, so fanden sich bereits mehr als je zuvor auch Bürgerinitiativen, die das politische Geschehen in den Ländern aufmischten. Während sich die Bewegung Repulique en Marche! des französischen Präsidenten Manuel Macron noch vor den Wahlen 2017 zur Partei LREM transformierte und etwa in Spanien PODEMOS 2019 schon auf den Wahlzetteln stand, so gab es im selben Jahr auch die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich, die die frischgewählte Regierung gleich enorm herausforderte.


In der Österreich - Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 15. August 2019 stellt Walter Osztovics unter dem Titel "Bürger an die Macht" einige Beispiele (nicht ganz) neuer politischer Willensbildung vor.


In der Deutschsprachigen Gemeinschaft, dem an Deutschland grenzenden östlichsten Bundesland Belgiens wurde jüngst ein permanenter Bürgerrat eingerichtet. In Barcelona hat die Bürgermeisterin eine eigene Stelle eingerichtet, in der fortlaufend Bürgerbeteiligungen zu offenen Fragen organisiert werden. In Paris beteiligen sich immerhin bereits zehntausende Wahlberechtigte an den sogenannten "budget participatif", in denen sie verbindlich über die Verwendung gewisser Budgetbeträge der städtischen Verwaltung abstimmen können. Dieses Modell wurde nun auch in Rennes, Metz und Grenoble übernommen.


Einen Bürgerrat hat man auch in Vorarlberg 2012 begründet. Dieser hat ein neues Mobilitätskonzept erarbeitet, das im Sommer 2019 vom Landtag beschlossen wurde. Österreichweit läuft derzeit ein "Wohnrechtskonvent" zur Erarbeitung eines Reformpaketes für dievon jahrzehntlanger Blockade gelähmten Wohnrechtsfragen. Ostztovics steht auch zusammen mit Andreas Kovar hinter der "Arena Analyse 2019" zum Thema "Konstruktive Politik". In einer Kooperation der Agentur mit der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" und der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" ist diese Analyse eine wohltuend unaufgeregte Analayse der politischen Landschaft der Gegenwart. Sachlich beobachtet stellen sie den Stand von Bürgerbeteiligung zum gegenwärtigen Zeitpunkt international dar. Die beiden arbeiten in der Agentur Kovar & Partners und präsentieren sich im Web unter www.publicaffairs.cc. Dort wird auch eine Software angeboten, mit der man online eine Kommunikation zu bestimmten Themen organisieren kann und auch in der Diskussion neue Wege beschreiten kann.


Eines der interessantesten Themen der europäischen politischen Diskussion ist mit Sicherheit das "Grundeinkommen ohne Arbeit". Der überaus umtriebige Paul Ettl sammelt, kompiliert und organisiert mit bewunderswerter Beharrlichkeit tagtäglich alle relevanten Wortmeldungen und Veranstaltungen und organisiert Stammtische und anderes mehr zu dem längst international Thema. Medienwirksame Tycoons wie der bestens bekannte deutsche Philosoph Richard David Precht und der Physiker Harald Lesch haben dieses Theme bereits ebenso in Talk Shows anderen Anlässen als bedeutsam geadelt wie viele andere Autoren und Kommentatoren. Schon allein aus der Fülle der von Paul Ettl zusammengefassten Informationen kann man die Breite ablesen, die dieses Thema bereits bekommen hat. Der Demokratie europäischen Zuschnitts wäre zu wünschen, dass sie diese Formen von Diskussion konstruktiver, verbindlicher und frühzeitiger einzubinden lernte. Vor allem die Parteien sind hier herausgefordert, einer Parallelstruktur neben den bestehenden Strukturen die gesetzlich verbindliche Form einer Berücksichtigung und Einbindung zu schaffen. Auf Basis verbindlicher Berücksichtigung durch die Regierenden wären hier wesentlich gelassenere Formen denkbar, als wir sie bislang gewohnt sind. Derzeit wird es schon mal als "Paket zur Förderung der direkten Demokratie" gepriesen, wenn man die Anzahl verringert ab der ein Volksbegehren im Nationalrat behandelt (=besprochen!) werden muss.


Noch geht es den Parteien noch nicht schlecht genug, um sich solch eine anstrengende Matrixorganisation anzutun. Doch Wahlkampf für Wahlkampf liefern sie selbst die stärksten Argumente für solche neue Wege. Ein Wettkampf darum, welche Partei nun als am offensten für solche neue Demokratieimpulse gelten möchte, könnte mir schon gefallen.


Trotzdem hätte ich solche Überlegungen auch vor kurzem noch für reichlich unrealistisch gehalten.

Aber dann kam Greta Thunberg...

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