Wer kultiviert das politische Klima?
Die vielen traurigerweise abgesagten Veranstaltungen und die zähe schwierige Aufgabe, einen einmal gestoppten Kulturbetrieb wieder zu beleben waren einer der Bereiche, an denen man in den vergangenen Monaten die ungeheure Verflechtung unserer Gesellschaft fast schon lehrbuchmäßig vorgeführt bekam. Die Klagen aus der Kulturszene, die sich neben tagtäglich für alle Bereiche präsentierten Programmen und Paketen regelrecht vergessen fühlen musste, lassen sich für mich durchaus nachvollziehen. Immerhin bleiben die Schäden, die der Druck auf die Stopptaste (natürlich nicht nur) im weiten Feld der Kultur ausgelöst hat, auch weiterhin kaum abzuschätzen. . Wo will man schließlich bei der Berechnung von Auswirkungen eine Grenze ziehen? Die Grenzziehung fällt nicht nur in der Analyse der Auswirkungen schwer. Schwer fällt sie auch in der Beherrschung der Unmut über Einschränkungen, Unbequemlichkeiten, Nachteile bis hin hinauf zu objektiven Schäden existentiellster Art. Sie alle treffen eine Bevölkerung, die sich an ein noch vor Jahrzehnten kaum vorstellbares Wohlstandsniveau gewöhnt hat. Sich an Annehmlichkeiten zu gewöhnen, fällt bekanntlich nicht schwer. So sind auch Einschränkungen auf durchaus hohem Niveau genau so beteiligt an der allgemeinen Unzufriedenheit wie die Nöte derjenigen, denen es schon vor Corona nicht gut ging und geringe Widerstandskraft aufbringen konnten, als diese völlig neuartige Ausnahmesituation über uns hereinbrach. Über diese gar nicht aufzuzählenden schlechten Auswirkungen glücklich zu sein oder auch nur nicht unzufrieden, ist ja nun wirklich etwas viel verlangt.
Was aber die objektiv völlig unbestreitbaren und bereits eingetretenen Schäden in den Schatten stellt, ist der verbissene Versuch, für diese über einen so unverschuldet hereingebrochenen Schäden jemanden schuldig zu machen. Für diesen zuerst einmal sehr undifferenzierten Ärger stellen in einer Demokratie die jeweils Regierenden einen allseits akzeptierten Blitzableiter im schweren Unwetter der Unzufriedenheit dar. Sachliche Aufarbeitung und Ehrlichkeit der Politik im Umgang mit den Bürgern könnte da durchaus so manche Notwendigkeit erträglicher machen und auch die ärgerliche Tatsache vermitteln, dass es die idealen Lösungen nicht gibt, die nur Vorteile haben. Doch was man dort auf der Zuschauergalerie oder in den ORF-Übertragungen zu sehen bekommt, sind doch sehr degenerierte Rituale des pauschalen Kritisierens und der pauschalen Rechthaberei. Anstatt einer Maximierung der Aufrichtigkeit muss in jedem Argument auch die überlegene Moral der eigenen Ieologie peinlich ins Rampenlicht gestellt werden. Ein Einräumen von Fehlern hat in dieser Unkultur der Debatte wenig Raum, da sich die gegnerischen Parteien ernsthaft verpflichtet fühlen, dies sofort zu einer neuen Atacke zu nutzen. Hier kann man die Zurufe der Sozialen Medien förmlich hören: "Gib Ihm!" Das Freistilringen auf dem Heumarkt lässt grüßen! Damit wird in der geschlossenen Gesellschaft der gewählten Parteien das Lernen aufgrund von Fehlern zum Skandal, statt zur anerkennenswerten Einstellung. Nur selten hebt sich eine differenzierte Wortmeldung wohltuend über die Klubzwänge und faktischen Zwänge zur Loyalität hinaus. Diesen sicherlich persönlich anstrengenden und dem demokratischen Idealismus nicht gerade zuträglichen Erfahrungen mit Demokratie entsprechend, sucht sich die Kritik auch andere Kanäle und einer davon ist der von der Opposition im Laufe vieler Jahre beständig herausgestrittene zunehmende Bedeutung der Untersuchungsausschüsse. Diese werden nun zunehmend zu Tribunalen, die im Unterschied zum erlahmten Interesse an den Ritualen im Parlament (derzeit noch) deutlich mehr Aufmerksamkeit erzielen können. Da allerdings hier wiederum dieselben Interessen aufeinanderprallen haben sich nur die Rituale ein wenig angepasst. Einen Bundeskanzler vorzuladen ist schon ein großer medialer Erfolg und wird mit der Durchsetzung der Vorladung eines prominenten politischen Gegners gekontert. Die Abnutzung dieses Instrumentes ist durchaus vorhersehbar.
Wohin also, Demokratie? In Hubert Thurnhofers Buch "Baustelle Parlament" wird schonungslos der keinesweg gute und vor allem nicht mehr zeitgerechte Zustand der Verfassung aufgedeckt. Hier eigentlich sind die beschämenden Rituale begründet, die dann in Parlament und Untersuchungsausschüssen in immer gleichen Gleisen ablaufen. Es ist eine demütigende Vergeudung von Emotionen und für alle Beteiligten ebenso menschlich schmerzhaft wie sinnlos, diese weiterhin als persönliche Konflikte auszutragen. Aus der zunehmenden Radikalität der Zuseher auf den Rängen (bzw. ihren Handies) ist auch erkennbar, dass hier die schweigende Mehrheit immer lauter schweigt, während der optisch alles dominierende Rest kaum noch die Zeit, Mühe und die Ernsthaftigkeit (und die grammatischen Minimalzugeständnisse) aufbringt, ihr Recht auf Kritik auch mit Begründungen und Sachargumenten dialogfähig vorzubringen.
Der Anteil des Menschen am Erdklima ist zwar noch keineswegs weltweit akzeptiert, wird aber doch immerhin zunehmend ernstgenommen. Wie steht es aber um das gesellschaftliche Klima, das Gesprächsklima, das Arbeitsklima? Den Anteil des Einzelnen am politischen Klima kann man ähnlich wie beim Weltklima auf ein paar Hauptschuldige reduzieren. Richtiger wird das allerdings trotz gebetsmühlenartiger Wiederholung nicht. Auch in Social Media kann man verschieden umgehen mit den Meinungen anderer und den Politikern demonstrieren, zu welchen Aktionen der vielleicht erwartete Beifall ausbleibt, weil man eine Modernisierung der politischen Struktur wichtiger fände als einen perfekt angesetzten Kinnhaken in die Visage des politischen Gegners. Auf dieses Klima zu achten und auch persönlich verantwortlich damit umzugehen, das zähle ich zur Kultur eines Landes.
Lieber Florian,
zur Frage der Demokratie-Reform: Da ist natürlich schon sehr viel geschrieben und noch mehr diskutiert und gedacht worden. Gerade auch die Problematik des relativ zahnlosen Volksbegehrens, die wohl fast alle wirkungslos waren, taucht ja immer wieder dann auf, wenn wieder einmal ein "begehrtes" Thema im Parlament abgehakt und oft nicht einmal ernsthaft besprochen wird. Allerdings brachte das erste VB von 1964, initiiert u.a. von Hugo Portisch, durchaus einen Erfolg - immerhin wurde der ORF reformiert und einigermaßen vom Parteienproporz befreit. Ich denke, da müsste zu überlegen sein, wie man Bürger stärker in parlamentarische Auseinandersetzungen einbinden könnte, und zwar so, dass Begehren nicht so einfach umschifft werden kann. Andererseits bin ich nicht unbedingt ein Verfechter des reinen Plebiszits. Nicht…