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AutorenbildFlorian Kliman

Wie lange kann die EU noch warten?

Corona überall: Grenzen, Reisewarnungen, gelähmter Flugverkehr, neue Cluster, leere Hotels, die Politiker haben im Moment mindestens ein Auge auf die Coronazahlen. Stehen dann auch noch Wahlen bevor, wird der Blick vollends gefesselt von der Hauptsorge "jetzt nur keine Fehler machen!". Schlechte Zeiten für Grundsätzliches! Die Aufmerksamkeit der "Black Lives matter" - Bewegung und das internationale Echo darauf ist in solchen Zeiten durchaus beachtlich - und wohl dem erschütternden Auslöser, einer live mitgefilmten Aufnahme jener exzessiv brutalen Verhaftung mit Todesfolge zu verdanken.


Hinausgedrängt aus der mitunter recht kurz gewordenen Liste von Prioritäten wurde auch die politische Realität EU. Erst mal war es geradezu atemberaubend, wie man für alle der in Corona-Zeiten aufgezeigten Probleme nun stramm nationale Lösungen suchte. Bekannt wurden etwa Bestellungen von Ausrüstung in - aha - China und wenig elegante Versuche, eine Maskenproduktion in Österreich aus dem Hut zu zaubern. Im - nicht unbedingt als Bananenrepublik einzustufenden - Deutschland werden LKW-Ladungen mit Schutzausrüstungen eines anderen EU-Landes festgehalten. Die mit Blick auf die Tourismus-Statistiken stark anwachsende Hektik, deutsche Touristen ins Land zu holen und dafür - die EU will das so - objektive Gründe (ähnliche Corona-Fallzahlen) ins Feld zu führen, darf man noch als harmlosere Alltags-"Fouls" in einem hitzigen Spiel betrachten. Die verschiedenen bilateralen Vereinbarungen der Länder untereinander über Grenzöffnungen und allfällige Bedingungen dafür liefen dann nicht mehr verheimlichbar an den Institutionen der EU vorbei und so gab es reichlich Gründe erst ein bisschen nach Brüssel zu sticheln und dann auch kräftig nachzutreten. Die Mühsal, in einer noch unfertigen multilateralen Institution wie der EU eine völlig neue Herausforderung handzuhaben wurde hervorragend übersichtlch im Artikel von addendum.org zusammengefasst: https://www.addendum.org/coronavirus/eu-reaktion/


Mir gefallen solche sorgfältig recherchiete Artikel, weil sie demonstrieren, dass es nicht die große Verschwörung braucht, um unerfreuliche Zustände zu verursachen. Die ganz normale Begrenztheit der Vernunft kombiniert mit der Weigerung, sich durch Hilfe anderer schlau zu machen reicht locker dafür aus.


Wie es Thomas Jäger im Medienportal der Uni Wien auf den Punkt bringt, hat die EU als noch vergleichsweise sehr junges Konstrukt einen enormen Startnachteil: In allen ihren Aktivitäten - ob unterlassen oder tatsächlich durchgeführt - wird sie immer hinterfragt, warum sie so spät, so übereilt, so zaghaft, so rücksichtslos, so kleinlich oder unangemessen agiert. Die Nationalstaaten dürfen in Europa völlig ungerührt ihre Fehler machen und müssen dafür lediglich die Kritik daran im Wege der parlamentarischen Diskussion überleben. Nationalstaaten haben Europa in Weltkriege geführt, auf dem Balkan nochmals das verheerende Wüten des Nationalismus zu verantworten (Sebrenica begeht dieser Tage sein erst 25(!)-jähriges Erinnungsgedenken). Der Nationalstaat jedoch wird nicht in Frage gestellt, bleibt unangetastetes Axiom, ungeachtet der teilweise erschütternden Performance ihrer Repräsentanten. Mehr Erhellendes dazu unter: https://medienportal.univie.ac.at/uniview/wissenschaft-gesellschaft/detailansicht/artikel/corona-und-das-ende-der-eu


Der sichtlich von ihrem Konzept inspirierten noch neuen Kommissionspräsidentin Van der Leyen wurde durch das Hinzutreten einer völlig unvorhersehbaren Krise einer ganz neuen Art sichtlich das Gesetz des Handelns aus der Hand geschlagen und muss - Mensch ärgere dich lässt grüßen - nochmals an den Start. Bevor man sich der an sich schon ambitionierten neuen grünen Agenda zuwenden kann, muss noch eine dieser Hausaufgaben mit Anstand gelöst werden, die boshafterweise immer die großen Visionen einbremsen. Zum Glück ist gerade Deutschland turnusmäßig in die Rolle des Ratsvor-sitzenden eingestiegen. Angela Merkel ist zuzutrauen, zur Überwindung des toten Punktes bezüglich der Corona-Hilfen zusammen mit dem nächsten Budget genug Erfahrung und Gewicht einbringen zu können. Politischem Hausverstand und der Erfahrung im Umgang mit widerstreitenden Vorstellungen und nicht ganz einfachen handelnden Personen hat die EU schon bisher einiges zu verdanken. Aus der Geschichte der eigentlich unmöglichen Erfolgsgeschichte der EU lässt sich auch Zuversicht schöpfen: die mühsame Kleinarbeit der Vernunft hat sich eine weitere Chance verdient. Selbst bei immer berechtigter Skepsis wegen ihrer Langwierigkeit ist ihr allemal mehr zu trauen als der genialsten aller Verschwörungstheorien.


Auch der österreichischen Regierung ist dringend anzuraten, schleunigst wieder vom hohen Baum des nicht gerade wertschätzenden Umgangs mit anderen Mitgliedstaaten (nicht Zustände wie in Italien...) herunterzuklettern. Soeben hat doch gerade der längst noch nicht überwundene Shutdown die überzeugendsten Argumente für die völlige Unersetzlichkeit multilateraler Zusammenarbeit geliefert. Auch selbstbewusst auftretende Bereiche wie Wirtschaft, Tourismus, Kultur, Infrastruktur und anderfe waren in einem erschreckenden Maß in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bloßgestgellt. Auch die offenen Grenzen haben sich als gar nicht so übel herausgestellt. Die in der EU steckende Vorarbeit für eine Überwindung nationalstaatlicher Strukturen ungenutzt zu lassen, wäre - auch für sparsame Vier - nicht sparsam, sondern ein unverantwortliches, höchst verschwenderisches Verschleudern europäischen Kulturgutes. Gerade weil man in der Bewältigung der COVID 19-Epidemie bestürzend oft in nationale Aleingänge zurückgefallen ist, gibt es ausgezeichnetes Anschauungsmaterial für die erforderlichen Veränderungen. Aus der anfangs als Rückkehr in die alte Normalität verstandenen Aufräumarbeit ist unversehens die Chance für einen möglichen Neubeginn geworden!

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